Die Geschichte von Marvel

 

Mit schwarzem, flachem Humor und blutigen Actionszenen hat der Film Deadpool, mit Ryan Reynolds in der Hauptrolle, nach seiner Premiere am 12.02.2016 die Kinos überrannt und weltweit Massen an Zuschauern begeistert. Doch nicht nur in deren Erinnerungen hat sich der Sprüche reißende Mann im rot-schwarzen Anzug eingeprägt, denn er geht als erfolgreichster Film mit R-Rating, also Film ab siebzehn Jahren aufgrund von intensiven Darstellungen von Gewalt, Sexualität und/oder Drogenkonsum, in die Rekordbücher ein, mit Einnahmen in Höhe von über 750 Millionen US-Dollar weltweit – und das bei einem Budget von 58 Millionen Dollar. Der Protagonist ist dabei  keinesfalls eine Neuschöpfung, ganz im Gegenteil: 1991 wurde die Figur für Marvel Comics entworfen und erhielt sechs Jahre später ihre eigene Comicserie. Aber auch wenn Deadpool mit Sicherheit in seiner Art und Geschichte einzigartig ist, ist er nicht die einzige Comicfigur aus dem Hause Marvel, die es zum eigenen Film geschafft hat. Knapp drei Monate nach Deadpool’s Premiere erschien der dritte Film von Marvels Captain America in den US-amerikanischen Kinos. Captain America – Civil War hat in siebzehn Tagen weltweit mehr als eine Milliarde Dollar eingenommen und ist damit der erfolgreichste der drei Filme über den patriotischen Superhelden. Doch auf Platz eins steht, als erfolgreichstes Projekt von Marvel Studios, The Avengers: Über 1,5 Milliarden Dollar hat der 2012 erschienene Actionfilm weltweit eingebracht, mit rund 78 Millionen Besuchern allein in amerikanischen Kinos.

Der Name „Marvel“ ist den meisten Menschen bekannt, immerhin erscheinen jährlich mehrere Filme und auch neue Comics werden immer wieder veröffentlicht, während der Wert alter, seltener Marvel-Hefte zunehmend in die Höhe schießt. Marvel Entertainment hat Erfolg und enttäuscht selten – aber das war bei Weitem nicht immer so.

Alles begann im Jahr 1934, als Martin Goodman den Verlag Timely Productions gründete. Zu dieser Zeit, zwischen den zwei Weltkriegen, begannen Geschichten mit Superhelden zunehmend an Beliebtheit zu gewinnen, was auch an Goodman nicht unbemerkt vorbeiging: Er traf mit dem Comic-Verlag Funnies Inc. die Einigung, dass sie seinen Verlag mit Comicheften versorgen sollten, was auch geschah. Fünf Jahre nach der Gründung von Timely entstand die Marvel-Comics-Reihe, bestehend aus Reprints von The Human Torch, The Angel, Masked Raider und Ka-Zar, einer Art Tarzanimitation. Damit stand Timely allerdings noch weit hinter führenden Verlagen wie DC Comics, die mit Helden wie Superman und Batman große Erfolge zu verzeichnen hatten. Es war Zeit, dass jemand Junges dazu kam, was dazu führte, dass Goodman noch im selben Jahr den siebzehnjährigen Stanley Martin Lieber einstellte – heute besser bekannt als Comicredakteur und -autor Stan Lee, der noch eine zentrale Rolle dafür spielen sollte, Marvel zu dem zu machen, was es heute ist.

Zwei weitere Jahre stand Timely Publications im Schatten der großen Verlage, bis ein Autoren- und Zeichnerduo den Helden „Captain America“ ins Leben rief, welcher in einer Uniform in den Farben der US-amerikanischen Flagge gegen Hitler und die deutschen Nationalsozialisten kämpfte, passend zum historischen Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, der zu jener Zeit in vollem Gange war. Ursprünglich sollte der Supersoldat, der mit „richtigem“ Namen Steve Rogers hieß und heißt, „Super American“ heißen, doch in der Comicbranche gab es nach Ansicht der Autoren bereits zu viele Charaktere, die ein „Super“ im Namen trugen, weshalb sie davon absahen und den Namen abänderten. Der Held wurde, nach eigener Aussage, von ihnen geschaffen, um zu zeigen, auf welcher Seite die USA stehen, nämlich gegen die Nazis, und um Solidarität zu zeigen. Sie wollten motivieren. Und das gelang ihnen auch, denn zum ersten Mal gab es eine Figur, die DC’s Superman und Batman Konkurrenz bot.

Doch der Erfolg hielt nicht lange an: Anfang der 50-er Jahre begannen Comics zunehmend an Beliebtheit zu verlieren. Der Krieg war vorbei, Comics, die wie „Captain America“ Nazis als Feindbild anprangerten, verkauften sich nicht mehr so gut, und allgemein gab es einfach ein zu großes Angebot an Superheldengeschichten. Das Thema war „ausgelutscht“, und hinzu kam, dass Comics in einem Buch, das sich gut verkaufte, verteufelt wurden; der Autor behauptete, dass sie einen negativen Einfluss auf Teenager hätten. Aufgrund der darauffolgenden verlagsinternen Krise, die auch dadurch verstärkt wurde, dass mehr auf Quantität als auf Qualität gesetzt wurde, wurde Timely Publications, kurz nach Beginn der Krise umbenannt in Atlas Comics, 1959 aufgelöst. Martin Goodman durfte nur noch unter streng regulierter Auflage bei Indipendent News Distributing weiter Hefte veröffentlichen.

Doch dann, zehn Jahre später, begann endlich die sogenannte „Marvel Comics Group-Ära“. Diese markierte den Beginn der „echten“ Marvel Comics, die mit The Fantastic Four, als Antwort auf DC’s The Flash und Green Lantern, ihr Debut feierten. Und tatsächlich: Die Geschichten über die vier Helden hatte Erfolg. Denn, anders als bei DC’s nahezu unfehlbaren Protagonisten, waren die Charaktere keinesfalls perfekt. Sie hatten zum Teil ganz alltägliche Probleme und persönliche Konflikte, was dazu führte, dass die Leser sich mit ihnen identifizieren konnten. Die Folge: Tales of Astonish mit „Giant Man“, der später in den allseits bekannten „Hulk“ umbenannt werden sollte, und Tales of Suspense mit „Iron-Man“, geschrieben nach demselben Prinzip wie „The Fantastic Four“, wurden veröffentlicht und Marvel feierte ähnliche Erfolge. Daraufhin erlaubte sich Stan Lee, der es schnell zum Posten des Chefredakteurs geschafft hatte, ein wenig herumzuexperimentieren, woraus „Spider-Man“ geboren wurde. Die „freundliche Spinne aus der Nachbarschaft“ stieß überraschend auf große Zustimmung bei den Lesern und wurde zum neuen Gesicht von Marvel. Kurz darauf entstanden die „Avengers“, bestehend aus dem nordischen Donnergott Thor, dem grünen Riesen Hulk, Iron Man und Captain America. Der Grund dafür war, dass ein regulärer Comic bis zu einem festgelegten Datum nicht erscheinen konnte und die Redakteure nach einer Übergangslösung suchten – was sich, wie bereits festgestellt, als eine exzellente Entscheidung herausstellen sollte.

Nachdem in den 70-ern erneut eine vergleichsweise ereignislose Phase für die Comicbranche folgte, wendete sich kurz vor der Jahrtausendwende das Blatt, als Marvel von Toy-Biz übernommen wurde. Zum ersten Mal seit einigen Jahren schrieb das Unternehmen wieder schwarze Zahlen. Kurz darauf erschienen die ersten modernen Superheldenfilme und auch Marvel’s Name fiel mehr als einmal: X-Men, basierend auf den Marvel-Comics, lief im Jahr 2000 in den Kinos an, und umgerechnet etwa 296 Millionen Euro spielte der erste Teil der Filmreihe weltweit ein; der erste Teil der Spider-Man-Trilogie feierte 2002 Premiere und die Gesamteinnahmen betrugen über 800 Millionen US-Dollar. Marvel bekam von dem Gewinn jedoch nicht allzu viel zu sehen, die Rechte waren einige Jahre zuvor verkauft worden, und zwar billig. Die einzige Möglichkeit, weiter mithalten zu können: die Produktion eigener Filme. „Iron Man“, erschienen 2008 mit Robert Downey Jr. in der Rolle des Protagonisten Tony Stark, war das Ergebnis, oder besser: das erste in einer langen Reihe von Ergebnissen. Denn während Kritiker der Übernahme von Marvel durch Walt Disney 2009, ein Kauf in Höhe von vier Milliarden Dollar, eher skeptisch gegenüberstanden, kann das Resultat sich sehen lassen.

Marvel Entertainment, aufgeteilt in Marvel Studios (die Filmabteilung) und Marvel Comics (wo noch immer neue Comics produziert werden), ist lange kein unscheinbarer Verlag mehr, ganz im Gegenteil. In Form des Marvel Cinematic Universe, abgekürzt MCU, hat das Unternehmen etwas Komplexes geschaffen, das Millionen von Zuschauern und Fans in seinen Bann zieht. Das MCU ist ein vom Marvel-Comicuniversum unabhängiges, aber auf seinen Figuren basierendes fiktives Universum, in dem die (Superhelden)-Filme spielen. Somit sind die Handlungen der einzelnen Filme und Filmreihen voneinander abhängig, Crossover sind möglich und häufig, und wer alles verstehen will, muss oder sollte alle oder die wichtigsten der Filme gesehen haben. Erschienen oder geplant und namentlich bestätigt sind bisher 24 Filme und einige Serien, doch Marvel hat ausgesagt, das bereits bis Ende 2028 Filme geplant sind. Und dass es danach vermutlich noch weitergehen wird.

Die Filme sind dabei keinesfalls durcheinandergewürfelt: Marvel Studios hat mit „Iron Man“ ein Phasenprogramm gestartet, bisher unterteilt in vier Abschnitte. „Phase Eins“, auch „Avengers Assembled“ genannt, stellt die einzelnen Helden und Organisationen vor und endet mit dem Zusammenschluss der Avengers sowie ihrer ersten gemeinsamen Schlacht. Teil dieses ersten Abschnittes sind daher „Iron Man“, „Der unglaubliche Hulk“, „Iron Man 2“, „Thor“, „Captain America: The First Avenger“ und abschließend „The Avengers“.

In „Phase Zwei“ werden weitere Charaktere vorgestellt und einige Verschwörungen bekannt. Inhaltlich müssen die Helden mit den auf die in „The Avengers“ geschilderten Ereignisse folgenden Probleme und Konflikte klarkommen. Somit besteht diese Phase aus „Iron Man 3“, „Thor: The Dark World“, „Captain America: The Winter Soldier“, „Guardians of the Galaxy“, „Avengers: Age of Ultron“ und „Ant-Man“.

„Phase Drei“ umfasst alle Marvel-Filme von 2016 bis 2019. Erneut kommen neue Figuren hinzu, doch besonders zu Beginn des Abschnittes steht die Weltbevölkerung den Helden gespalten gegenüber, die sich aufgrund der Ereignisse am Ende der letzten Phase mit persönlichen Ansichten und Konflikten auseinandersetzen müssen.

Aus „Phase Vier“ (2020-2028) sind bisher lediglich die Filme „Inhumans“ und „Guardians of the Galaxy: Vol. 3“ bekannt. Doch wie bereits gesagt: Es wird wahrscheinlich noch weitergehen. Denn Kevin Feige, dem Präsidenten von Marvel Studios und Produzenten zahlreicher Filme, steht eine riesige Sammlung an Comics und verschiedenen Charakteren zur Verfügung, die auf die Leinwand umgesetzt werden können. Und Feige hat bewiesen, dass er dazu im Stande ist. Viele sehen ihn als den Mann, der Marvel gerettet hat, denn Feige animierte die ausführenden Produzenten der Filme dazu, sich mehr an die originalen Comics zu halten. Das Ergebnis: Charaktere, mit denen sich die Zuschauer identifizieren konnten, weil sie, wie Stan Lee zuvor bereits durchgesetzt hatte, menschlicher und nicht perfekt waren, sowie logische Verknüpfungen zwischen den einzelnen Handlungssträngen. Stan Lee hatte Jahre zuvor gemeinsam mit seinen Kollegen zum ersten Mal ein komplexes, gemeinsames und durchdachtes Comicuniversum erschaffen, und diesem Beispiel folgt Feige nun. Er wusste, wenn er die Fans auf seiner Seite hatte, würden neue nachkommen, und das gelang ihm. Auch Stan Lee, der mittlerweile 93 Jahre alt ist, gefällt dieses Konzept: Er hatte bisher in 28 Marvel-Filmen und -Serien Cameo-Auftritte in Form kleinerer Nebenrollen; wer ihn sucht, findet ihn zumeist. Eine weitere Besonderheit von Marvel: die Post-Credits-Scene, eine kurze Szene, die sich entweder auf den Film bezieht oder einen Ausblick auf folgende Filme gibt, eine Art Teaser-Trailer – oder beides. Wer sich nicht zum ersten Mal einen Film von Marvel Studios im Kino anschaut, bleibt also meistens noch eine Weile sitzen, denn das Warten auf den Ablauf der Credits lohnt sich.

Also: Marvel wird wohl auch in Zukunft mit neuen Filmen, Serien und Comics glänzen. 2016 wird noch ein weiterer Film, „Doctor Strange“ mit Benedict Cumberbatch in der Hauptrolle, erscheinen. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Comic, welcher die Geschichte von Dr. Steven Strange erzählt, einem Chirurgen, der zum „Obersten Zauberer der Menschheit“ (Supreme Sorcerer of Humanity) ausgebildet werden soll. Der Film soll im Oktober erscheinen. Ob sich das Warten lohnt, wird sich also bald zeigen.

 

Piera Tomasella, 10a