Menschenrechte oder terroristische Gefahren?

Pressefreiheit und Respekt in Erdogans Türkei

Kommentar von Piera Tomasella

„Wenn ihr Euch weiterhin so benehmt, wird morgen kein einziger Europäer, kein einziger Westler auch nur irgendwo auf der Welt sicher und beruhigt einen Schritt auf die Straße setzen können.“ Eine deutlich ausgesprochene Drohung aus der türkischen Hauptstadt Ankara und aus dem Munde des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Immer wieder hat es in den vergangenen Tagen ausgehend von türkischer Seite schwere Beleidigungen und Vorwürfe gehagelt, nachdem die Niederlande dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu die Einreise verweigert hatten. Der Grund: Cavusoglu hatte einen Wahlkampauftritt zugunsten Erdogans geplant und in den Niederlanden lebende Türken zur massenhaften Teilnahme daran aufgefordert, die Niederlande sahen darin jedoch eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und haben dementsprechend gehandelt und den Auftritt abgesagt.

Seitdem hat Erdogan die niederländischen Regierungsmitglieder wiederholt als „Nazi-Nachfahren“ und „Faschisten“ bezeichnet. Bundeskanzlerin Angela Merkel warf er vor, „auf der Seite Hollands“ zu sein. Er hingegen versicherte, auf der Seite seines Volkes und der „Seite des Rechts“ zu stehen und davon auch nicht abweichen zu wollen.

„Auf der Seite des Rechts“. Nun gut, doch die Frage ist: welches Recht? Das der seit 1982 geltenden Verfassung? Oder die Sonderregelungen des bisher zweimal verlängerten politischen Ausnahmezustandes, welche sich Erdogan seit dem Putschversuch im Sommer vergangenen Jahres immer wieder zunutze macht?

Im Rahmen einer Rede in der türkischen Hauptstadt hat Erdogan die europäischen Länder jüngst dazu aufgefordert, „Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten zu respektieren“. Doch wie es so schön heißt: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Denn wirft man einen Blick in Richtung Türkei, so sieht man alles andere als diesen verlangten Respekt. Stattdessen erblickt man einen Staatspräsidenten, der sich ein Dasein als Diktator zum Ziel gesetzt zu haben scheint, man hört lautstarke Forderungen nach der Wiedereinführung der Todesstrafe und liest Berichte über immer und immer mehr inhaftierte Journalisten.

Deniz Yücel, türkischer Korrespondent der WELT, ist einer von ihnen. Die Anklage: Terrorpropaganda und Volksverhetzung, nachdem er im Herbst 2016 über eine Hacker-Attacke auf das E-Mail-Konto des türkischen Energieministers Berat Albayrak – Erdogans Schwiegersohn – berichtet hatte. Nachdem er aufgrund des Ausnahmezustandes zunächst über 14 Tage hinweg ohne richterlichen Beschluss festgehalten werden durfte, befindet er sich nun in Untersuchungshaft, wie viele andere regierungskritische Journalisten in der Türkei, denen terroristische Hintergründe vorgeworfen werden.

Tatsächlich befindet sich die Türkei momentan in einer Rangliste der Pressefreiheit – ein grundlegendes Menschenrecht, nebenbei gesagt – nur auf Platz 151 von insgesamt 180 und steht somit sogar hinter Staaten wie Pakistan oder Tadschikistan. Seit Beginn des Ausnahmezustandes wurden rund 150 Medien verboten, 775 Presseausweise annulliert; laut Amnesty International ein „eklatanter Missbrauch des Ausnahmezustands zur Zwangsschließung verschiedener Medien“.

Aber es ist ein Ausnahmezustand, doch  wenn Ausnahmen zur Regel werden, bricht auch Glas nicht. Also wirft Erdogan weiter mit Steinen, während unter seinen Füßen Menschenrechte zu terroristischen Gefahren werden, und fordert Respekt.

Die interessante Frage ist: Wie viele Steine wird sich Europa noch gefallen lassen?

 

Quellen:

https://www.tagesschau.de/ausland/erdogan-575.html

http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-02/deniz-yuecel-polizeigewahrsam-pressefreiheit-tuerkei-faq

http://www.lr-online.de/nachrichten/Hintergruende-Deniz-Yuecel-unbequemer-Welt-Korrespondent-in-der-Tuerkei;art313028,5900695

http://www.focus.de/politik/videos/entzug-der-landeerlaubnis-niederlande-verhaengen-einreiseverbot-gegen-cavusoglu-erdogan-reagiert-erzuernt_id_6770061.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_der_T%C3%BCrkei

http://www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-verlaengert-ausnahmezustand-um-drei-monate-a-1128477.html

http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2017/02/autokorso-inhaftierter-journalist-deniz-yuecel-mehrere-staedte.html